Weibliche Vorbilder der TU-Graz: Anne Femmer
Wie sind Sie überhaupt in die Technik gekommen?
„Technik“ klingt erstmal sehr spezifisch und man sieht gleich lauter Maschinen, Zahlen – und Männer – vor sich. Architektur als Disziplin hingegen ist aber ja sehr weitgefasst. Manchmal gibt es viel wichtigere Fragen als die Technik, aber klar: sie ist ein wichtiger Teil der Disziplin – und daher interessiert sie mich auch sehr. Ich packe gerne Dinge selbst an, auch technische Sachen, was auch immer man darunter verstehen mag. Wer böse ist, könnte es als selbstüberschätzende Bastelei bezeichnen. Das Architekturstudium hat mir ein wenig geholfen, diesen Drang zum Herumwerkeln an Dingen – und dazu gehören auch Häuser – zu professionalisieren.
Hatten Sie viele Kolleginnen im Studium?
Studentinnen und Studenten waren ungefähr 50/50 aufgeteilt. Auch bei meinen ersten Jobs in Architekturbüros kam mir das Verhältnis noch ähnlich vor. Dann sind die Frauen nach und nach verschwunden. Auf der Baustelle waren sie nicht zu finden, bei den Bürogründungen auch nicht, und wenn doch, dann verschwanden sie spätestens mit dem ersten Kind wieder von der Bildfläche. Klar, das klingt überspitzt. Leider sieht die Realität in weiten Teilen aber immer noch so aus, das lässt sich nicht schönreden. Wenigstens redet man jetzt überhaupt darüber und Dinge kommen in Bewegung.
Sie haben mit Ihrem Lebenspartner, Florian Summa, SUMMACUMFEMMER Architekten gegründet. Wie haben Sie das realisiert?
Mit Starthilfe. Die kam von der ETH Zürich, wo wir neben unserer Selbständigkeit als AssistentInnen gearbeitet haben. Wir hatten beide eine halbe Stelle, damit war unser Lebensunterhalt gesichert. Und wir hatten wenig Druck, dass unser Büro auch finanziell sofort funktionieren muss. Ehrlich gesagt funktioniert es auch heute noch nicht. Aber das finden wir nicht so schlimm, denn das Unterrichten ist für uns mindestens genauso wichtig wie die Arbeit in unserem Büro und bringt Konstanz auf der Einnahmenseite. Es ist eine Art Querfinanzierung, viele Dinge vermischen sich. Vielleicht ist es auch ein persönliches Ding: Florian und ich können Dinge schlecht trennen, wir machen vieles gleichzeitig und dabei verschwimmen immer wieder die Grenzen. Am Ende ist alles ein großer Matschhaufen, aber dieser Matschhaufen ist mit Freude selbstgemacht und symbolisiert auch unser Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit.
Wie ist es, das Familienleben mit der Architektur und der Professur zu vereinen?
Bei uns funktioniert das ganz gut mit der Halbe-Halbe-Strategie. Florian und ich machen alles zu gleichen Teilen: Büro, Unterrichten, Familie. Super ist, dass wir auch die Professur an der TU Graz aufsplitten konnten. Ich glaube wir sind die Ersten, die dort diese Chance bekommen haben. Unsere Tochter geht eigentlich in Leipzig in die Kita. Seit wir in Graz unterrichten, haben wir sie aber auch schon öfters für ein paar Tage mitgenommen und dort in eine „flexible“ Kita-Betreuung gesteckt. Klappt prima mit dem Streifenkartensystem: Morgens hinbringen, Nachmittags abholen und die Stunden auf der prepaid-Streifenkarte entwerten lassen. Aufwändig und stressig ist es natürlich trotzdem, aber so muss keiner von uns beruflich zurückstecken. Das gilt übrigens auch umgekehrt: Wir haben beide gleich viel Zeit für unsere Tochter! Beim klassischen Rollenbild mit Frau-passt-zu-Hause-aufs-Kind-auf kann man sich ja auch mal fragen, ob nicht einige Männer diesen Job eigentlich lieber machen würden als ihren Ernährer-Beruf.
Ihre Tochter ist ja noch sehr jung. Haben Sie einen Plan für die Zeit, wenn sie in die Schule kommt?
Das wird ähnlich chaotisch funktionieren müssen wie bisher, aber auch das ist ok. Unser Büro haben wir bei uns im Haus mit drin, das wird immer mehr zum Vorteil. Wer als Mitarbeiter nicht aufpasst, hat schnell auch schon mal unsere Tochter für einen Moment an der Backe… Auch der Nachbar muss manchmal herhalten, obwohl er nur gucken wollte was wir gerade so machen. Wir versuchen uns dann auf andere Art zu revanchieren. Mal schauen, wie lange das Modell so noch funktioniert.
Sie haben schon mehrere Projekte angenommen. Wie sind Sie an diese gekommen bzw. wie haben Sie diese ausgesucht?
Der Klassiker: die ersten Projekte haben wir für die Familie und Bekannte gebaut. Unter anderem ein kleines Haus irgendwo im sächsischen Nirgendwo. Das hat unheimlich Spaß gemacht – vor allem im Kontrast zum parallelen Unterrichten in Zürich. Wir sind jede Woche mit dem Zug gependelt und haben das Beste aus beiden Welten mitgenommen. Das ist schon ein ganz schönes Privileg. Und dann hatten wir auch noch Glück: Zusammen mit KollegInnen aus Belgien haben wir einen Wettbewerb für einen genossenschaftlichen Wohnbau in München gewonnen und dann auch bauen dürfen. Nun ist das Gebäude fertig und die rund 100 Bewohner sind eingezogen. Das offene Wettbewerbsverfahren war hier der Schlüssel für uns, denn normalerweise gibt es in Deutschland entweder gar keine Wettbewerbsverfahren oder man muss für die Teilnahme nachweisen, dass man schon zig große Buden gebaut hat. Das ist ein sehr deutsches Denken – Umsatzvolumen und Anzahl der Mitarbeiter (und Kopierer) als Qualitätsmerkmal. Zum Glück ist auch hier etwas in Bewegung, vereinzelt rauft man sich sogar zu einer Quote für Nachwuchsbüros durch. Erstaunlicherweise konnten wir auch über solch ein Verfahren einen Wettbewerb gewinnen. Ich bin eine große Verfechterin solcher Quoten. Von mir aus könnte noch viel mehr über Quoten geregelt werden, etwa ein Anteil an jungen, alleinselbständigen Architektinnen. Es gibt so viele strukturelle Benachteiligungen, die sich halt nicht über den Markt oder den Wettbewerb lösen lassen. Also muss umverteilt werden.
Wenn Sie dann einen Wettbewerb gewinnen und das Projekt übernehmen, hören Sie währenddessen zum Unterrichten auf?
Nein, alles läuft immer gleichzeitig, das ist ja gerade das Spannende. Projekte kommen und gehen auch manchmal sehr unvermittelt, da kann man sehr schlecht planen. Es gibt dann halt einfach intensivere und weniger intensivere Phasen – turbulent ist es aber fast immer…
Sie haben das dann sozusagen alles gleichzeitig gemacht. Was sind dann ihre Arbeitszeiten?
Klar, es ist immer viel zu tun. Aber wir sind ja super privilegiert in dem was wir tun können, weil uns alles Spaß macht was wir tun und wir uns nicht getrieben fühlen. Dieses Privileg haben ja nur sehr wenige Menschen auf der Welt. Also müssen wir uns auch keinen entspannenden Ausgleich zum existenziellen Überleben suchen. Ablenkung von den nervigen Dingen des Alltags finden wir aber trotzdem gut. Da werkeln wir meistens an unserer einigermaßen ruinösen Bruchbude hier in Leipzig herum und freuen uns, dass wir keine Pläne zeichnen müssen, sondern direkt bauen können.
Bringen Sie Dinge die Sie gerade bauen oder planen in Ihren Unterricht ein?
Ja, alles beeinflusst sich gegenseitig. Für uns sind die Welten nicht scharf voneinander getrennt. Einziger Unterschied ist für uns das Maß der Freiheit: An der Universität reden eher wenige mit, beim tatsächlichen Bauen meistens sehr viele. Schwer zu sagen, ob die eine Welt nun besser ist als die andere – uns interessiert mal wieder das Mischen. Im vergangenen Semester haben wir all unsere Werkzeuge von der Baustelle hier in Leipzig eingepackt und das Institut in Graz in eine Baustelle verwandelt. Für viele Studierende war das ein rechter Kontrast, denn Planen und Entwerfen war für sie nicht so sehr mit dem tatsächlichen „Machen“ verbunden. Umgekehrt nehmen wir natürlich auch viele Fragen aus dem universitären Kontext zurück in unser Büro. Auch das fehlt ja häufig in der Praxis: das Nachdenken darüber, was man da eigentlich macht.
Wie war es, während der Coronazeit an der TU Graz mit dem Unterrichten zu beginnen?
Wir versuchen das Beste draus zu machen. Klar, es ist nicht einfach und uns allen – den Studierenden wie auch den Lehrenden – fehlt der direkte Austausch. Das architektonische Entwerfen ist ja etwas sehr Physisches, mit großen Modellen, Zeichnungen und Unmengen an Skizzen. Einiges davon lässt sich digitalisieren, vieles nicht. Wir versuchen trotzdem möglichst nah an der physischen Welt dran zu bleiben und improvisieren viel. Und dann haben wir die Hoffnung, dass noch vor Ende unserer zweijährigen Gastprofessur wieder etwas Normalität eingekehrt ist. Ich glaube alle sehnen sich sehr nach einem lebendigen Studieren und Unterrichten!
Haben Sie Freude am Unterrichten?
Ja, sehr!
Was sagen Sie dann zu jungen Studenten und Studentinnen, die den Wunsch äußern, sich selbstständig zu machen?
Unbedingt machen! Anstrengend ist der Beruf vermutlich immer, viel Geld verdienen tun auch die wenigsten, egal ob angestellt oder selbständig. Was bleibt, ist die große Freiheit eigene Gedanken gebaute Wirklichkeit werden zu lassen. Das geht auch manchmal schief, entwerferisch, bautechnisch oder auch ökonomisch. Aber es ist das eigene Ding. Finanziell gibt es Absicherungsstrategien, das bremst die Fallhöhe und puffert ab. Bei uns ist es die Lehre, wir kennen aber auch KollegInnen die ganz anderen Strategien der Querfinanzierung fahren.
Wie finden Sie, sind die Rollenbilder in der Architektur vertreten?
Ich denke es wendet sich zum Guten und wird diverser, zumindest in kleinen Schritten. Bis zu einer echten Ausgewogenheit auf den unterschiedlichsten Ebenen der Gleichstellung bleibt noch viel Arbeit, da müssen nun alle ihren Beitrag leisten. Am Ende ist es eine Verteilungsfrage, von Bedingungen, Chancen und Möglichkeitsräumen. Hier ist eben doch nicht jeder seines eigen Glückes Schmied. Dafür sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich, auch in der Architekturdisziplin.
Was halten Sie vom Kunsthaus in Graz?
Eine ulkige Ikone, irgendwie. Glupschig, aber ja trotzdem ziemlich ernst gemeint. Ja, ich glaube ich schätze das Gebäude für die Zeit, die dahinter stand. Und auch für das Experiment. Für einige ist das ja ein gefährliches Ding, ein architektonisches Experiment. Deshalb mag ich es erstmal.
Möchten Sie abschließend noch etwas hinzufügen?
Noch einmal kurz zum Parity-Gedanken: Die Sache ist ja ziemlich komplex und selbst innerhalb der aktivistischen Bewegungen gibt es widerstreitende Ansichten, wer denn nun auf welche Weise zu seiner „Berechtigung“ kommen soll. Wenn man etwa beim Mann-Frau-Verhältnis bleibt: Sollen nun Frauen einfach die gleichen Rechte und Chancen eingeräumt werden, auf dass sie auf gleiche Weise „erfolgreich“ werden können wie die Männer? Am besten noch zu den „besseren“ Männern werden? Oder müssten die Rollen nicht getauscht, sondern eher zerhäckselt und vermischt werden, bis es eigentlich gar keine Rollen mehr gibt? Da wären wir wieder beim Matschhaufen, wo alles eine Pampe ist. Vielleicht fände ich das als Leitbild ganz gut.

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Weibliche Vorbilder der TU Graz“, des Referat für Frauenpolitik.